Deutsche Minderheit in Polen

Typ: Artikel

Nach dem Ergebnis der als Mikrozensus durchgeführten Volkszählung 2011 gaben insgesamt 148.000 Personen an, deutsche Volkszugehörige zu sein und damit fast so viele wie 2002 (153.000 Personen). Zugleich gab es einen starken Anstieg der Zahl von Personen, die sich über eine regionale Identität definieren. So haben sich 847.000 Personen als "Schlesier" bezeichnet (2002 nur 173.000). 239.300 Personen gaben an, neben der polnischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen. Nach Angaben der Selbstorganisation der deutschen Minderheit in Polen sind ihr schätzungsweise 300.000 bis 350.000 Personen zugehörig.

Die Angehörigen der deutschen Minderheit leben hauptsächlich in Oberschlesien, insbesondere in den Woiwodschaften Oppeln/Opole und Schlesien (Kattowitz/Katowice), hier vor allem im Kreis Ratibor/Racibórz. Nordpolen zählt geschätzt rund 30.000 Angehörige der deutschen Minderheit mit regionalen Schwerpunkten in Ermland-Masuren, dem Großraum Danzig/Gdańsk und den Städten Thorn/Toruń, Bromberg/Bydgoszcz, Schneidemühl/Piła, Köslin/Koszalin, Rummelsburg/Miastko, Stolp/Słupsk und Stettin/Szczecin.

Die historischen Gründe für die Siedlung der Deutschen im heutigen Polen sind vielfältig und komplex. Im Zuge des mittelalterlichen Landesausbaus ließen sich auf Einladung der piastischen Landesherren, insbesondere in den Teilgebieten Schlesien, Großpolen, Masowien und Pommerellen, deutsche Siedler nieder. Schlesien und Pommern lösten sich im Spätmittelalter aus dem polnischen Herrschaftsverband, dennoch verblieben auch im Königreich Polen zahlreiche Deutsche. Für das nördliche Polen wurden der Einfluss des Deutschen Ordens und seine Siedlungs- und Territorialpolitik prägend, die mit den Interessen des inzwischen jagiellonischen Königshauses in Konflikt geriet (Schlacht bei Tannenberg, 1410) und anschließend zurückgedrängt wurde. In der Zeit der Adelsrepublik führten auch Siedlungsmaßnahmen einzelner Adelsfamilien zu Niederlassungen von Deutschen. Die drei Teilungen Polens, die den Staat im 18. Jahrhundert vorübergehend von der Landkarte Europas tilgten, führten zu einer Aufteilung der in Polen lebenden Deutschen auf die Teilungsmächte Preußen (Westpreußen, Posener Deutsche), Österreich (Galiziendeutsche) und Russland. In allen drei Teilungsgebieten erfolgten im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert neue Ansiedlungen von Deutschen; so etwa im russischen Teil Polens (Kongresspolen) im Gebiet um die aufstrebende Industriemetropole Lodz/Łódź bzw. die überwiegend bäuerlichen Siedlungen in Wolhynien. Überall erfolgte ein intensiver wirtschaftlicher und kultureller Austausch sowie ein gegenseitiger polnisch-deutscher Kulturtransfer. Auch heute noch erinnert das umfangreiche kulturelle Erbe an diese reichhaltige Geschichte. Gleichzeitig artikulierte sich im 19. Jahrhundert der Wunsch vieler Polen nach Wiederherstellung der nationalen Souveränität, die nach dem Ersten Weltkrieg 1918 realisiert wurde. Die Abtretung Westpreußens, des Posener Landes und Ostoberschlesiens infolge der Bestimmungen des Versailler Vertrages vergrößerte die deutsche Minderheit in Polen erheblich. In der Republik Polen lebten nunmehr, geschützt durch ein System internationaler Minderheitenabkommen, deutsche Gruppen mit sehr unterschiedlichen historischen Wurzeln zusammen. Nach dem deutschen und dem sowjetischen Überfall auf Polen im September 1939 wurde das deutsch-polnische Zusammenleben durch nationalsozialistische Repressions- und Vernichtungsmaßnahmen nachhaltig gestört. Der von Deutschland besetzte Teil Polens wurde zu einem Experimentierfeld nationalsozialistischer Siedlungspolitik (Aussiedlungen von Polen, Ansiedlungen "volksdeutscher" Gruppen, Klassifizierung der deutschen Minderheit nach ethnischen und rassistischen Kriterien über die "deutsche Volksliste"). Im Zuge der Kampfhandlungen in der Endphase des Zweiten Weltkriegs flüchteten zahlreiche Deutsche vor der Roten Armee. Ab 1945 erfolgte aufgrund des Potsdamer Abkommens und der von den Alliierten beschlossenen "Westverschiebung" Polens bis zur Oder-Neiße-Grenze (zu Polen kamen mit Schlesien, dem südlichen Ostpreußen, Hinterpommern und Ostbrandenburg auch ehemalige deutsche Ostprovinzen) eine massenhafte Vertreibung von Deutschen aus nunmehr zum neuen polnischen Staat gehörenden Regionen. In der Zeit der Volksrepublik Polen waren die Rechte der deutschen Minderheit und der Gebrauch der deutschen Sprache eingeschränkt.

Nach Abschluss des Warschauer Vertrages (1970) konnten zahlreiche Angehörige der deutschen Minderheit in die Bundesrepublik Deutschland aussiedeln. Heute gilt deshalb dem Aufbau eines durchgehenden Angebots von bilingualem Unterricht im Schulsystem die größte Aufmerksamkeit.

Für die Belange der deutschen Minderheit Polens setzt sich zentral der Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG) ein. Der Dachverband hat zahlreiche Mitgliedsvereine und vertritt nach eigenen Angaben etwa 300.000 Personen. Ein Abgeordneter der Minderheit vertritt deren Rechte im polnischen Parlament (Sejm). Der VdG ist Mitglied in der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen.

Grundlage der Hilfsleistungen an die deutsche Minderheit Polens ist der deutsch-polnische Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17.06.1991. In jährlich stattfindenden Jahresplanungsgesprächen wird die Verteilung der Fördermittel des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat zusammen mit Vertretern der deutschen Minderheit festgelegt. Die Unterstützung reicht von Wirtschaftsfördermaßnahmen, die über die eigens hierfür eingerichtete Stiftung für die Entwicklung Schlesiens vergeben werden, über gemeinschafts- sowie verbandsfördernde Projekte, bis zur Förderung der Jugend- und Erwachsenenbildung. Die anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Nachbarschaftsvertrages ins Leben gerufenen sog. "Rundtischgespräche" bieten darüber hinaus ein Diskussionsforum für Fragen der Förderung der deutschen Minderheit in Polen und der polnischstämmigen Bürger und Polen in Deutschland zwischen polnischen und deutschen Regierungsvertretern sowie den jeweiligen Interessenvertretungen.

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