Wissenschaftliche Tagung „75 Jahre Potsdamer Konferenz – ‚Friedens‘-Ordnungen und ‚ethnische Säuberungen‘ in Vergangenheit und Gegenwart“

Typ: Rede , Datum: 30.09.2020

  • Rednerin oder Redner

    Prof. Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten

Es gilt das gesprochene Wort!

Ich freue mich, dass Sie mich eingeladen haben, als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten zu dem Thema „75 Jahre Potsdamer Konferenz – „Friedens“-Ordnungen und „ethnische Säuberungen“ in Vergangenheit und Gegenwart“ die Begrüßungsansprache zu halten.

Neuordnung nach der Katastrophe – das war der historische Moment von Potsdam. Die Ordnung, das Gefüge der Welt war zerstört – nicht nur in politischer, sondern auch in moralischer Hinsicht. Ganz Europa lag in Trümmern und auf diesen Trümmern begann der schwierige Aufbau einer neuen internationalen Ordnung.

Ein politisch-moralischer Eckpfeiler dieser Neuordnung war bereits gelegt worden: Die Charta der Vereinten Nationen, kurz vor Beginn der Potsdamer Konferenz in San Francisco unterzeichnet, ist bis heute das Fundament der globalen Ordnung. Und wenig später, am 20. November 1945, markiert der Auftakt der Nürnberger Prozesse zugleich die Geburtsstunde des modernen Völkerstrafrechts – ein Erbe, das ebenfalls bis in die heutigen internationalen Beziehungen hineinwirkt.

Die Potsdamer Konferenz selbst steht für diejenigen Aspekte der Neuordnung, die die Welt für die nächsten viereinhalb Jahrzehnte, bis zum Zusammenbruch des Ostblocks, zutiefst prägen sollte: den Aspekt der Teilung und den Aspekt der größten Bevölkerungsverschiebung der Menschheitsgeschichte!

Die Potsdamer Beschlüsse besiegelten auf Jahrzehnte die deutsche Teilung und die Blockkonfrontation in West und Ost. Für Millionen Menschen führten sie zum Verlust ihrer Heimat und zu einem erzwungenen Neuanfang in der Fremde. Auch für die Menschen in der sowjetischen Besatzungszone und Osteuropa gab es einen Neuanfang – allerdings ohne Freiheit und Demokratie. Dementsprechend hat die Potsdamer Konferenz sehr viel mit dem Vertreibungsgeschehen des Zweiten Weltkrieges zu tun.

In Art. XIII des Protokolls wurde in zum Teil vager Formulierung eine organisierte Ausweisung beschlossen, mit der die Aussiedlung von Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn offiziell verfügt wurde. Mit der Konsequenz, dass in diesen Staaten umgehend stalinistisches Unrecht zu Recht erklärt wurde! Auch die Vertreibung von Polen aus Ostpolen gehört hierher. Themenblock I und II werden sich hiermit befassen.

Vergegenwärtigt man sich diese Situation nach der Potsdamer Konferenz, werden auch noch nach 75 Jahren vielfältige Gefühle und Bilder ausgelöst; diese betreffen etwa den Verlust der Heimat, das persönliche Schicksal und das Leid im Zuge der Vertreibung oder handeln von den Schwierigkeiten des Neuanfangs.

Vieles davon berührt uns auch heute noch. Es sind elementare Fragen, die hier gestellt wurden. Es sind Fragen nach der Herkunft, nach der Kultur und nach der Tradition.

Was ist es wert, bewahrt zu werden? Was bedeutet Heimat - für mich, für meine Familie? Wann muss man vertraute Dinge loslassen? Inwieweit muss ich und meine Familie in der Mehrheitsbevölkerung „aufgehen“? Integration oder Assimilation?
Diesen Fragen nach der eigenen Identität kann man nicht ausweichen.

Dies konnten damals in der Zeit nach dem Potsdamer Protokoll die Vertriebenen nicht, später auch nicht die Aussiedler und auch heute nicht die Angehörigen der deutschen Minderheit in Ostmitteleuropa! Als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten möchte ich meine aktuellen Erfahrungen zur letztgenannten Gruppe wie folgt zusammenfassen:

Es gibt heute für Angehörige der deutschen Minderheiten eher selten einen konfliktträchtigen Spagat zwischen Anpassung an die Mehrheit auf der einen Seite und Bewahrung der eigenen Identität auf der anderen Seite. Wo früher oft Furcht herrschte, sich zur eigenen Abstammung zu bekennen, sind die Mitglieder deutscher Minderheiten heute (weitgehend) integraler Bestandteil ihrer Gesellschaft. Wo früher Verfolgung und Unterdrückung alltäglicher Begleiter waren, ist nun das Leben der eigenen Identität möglich. Und wo zunächst Ausgrenzung herrschte, sind heute deutsche Minderheiten Mitbürger auf Augenhöhe.

Selbstverständlich gibt es bei dem einen oder anderen unserer Nachbarn im Osten auch eine (zum Teil heftige) rückwärtsgewandte Politik. Als Beispiel sollen hier die Einschränkungen des muttersprachlichen Deutschunterrichts in Polen genannt werden.

Generell lässt sich aber sagen, dass die Richtung für die gedeihliche Entwicklung der deutschen Minderheiten in Ostmitteleuropa stimmt. Darüber wird in Themenblock III weiter zu reden sein.

Lassen Sie mich noch eine Anmerkung zum Themenblock IV machen.

Das Minderheitenthema ist häufig mit Ängsten und Befürchtungen belastet: Den Befürchtungen so mancher Angehöriger von deutschen Minderheiten vor schleichender oder politisch forcierter Assimilation stehen Befürchtungen der Mehrheitsbevölkerung vor Veränderungen der vertrauten Lebenswelten sowie vor kulturellem oder politischem Separatismus gegenüber.

Solche Sorgen können nach meiner Einschätzung jedoch in gesellschaftlichen und politischen Lernprozessen aufgelöst werden.

Bei gegenseitigem Verständnis lässt sich häufig nachvollziehen, wie Angehörige der deutschen Minderheiten nicht nur positiven Einfluss auf ihre nähere Umgebung nehmen, sondern auch in vorbildlicher Weise gesellschaftliche und kulturelle Brücken zwischen ihren Heimat-staaten und der Bundesrepublik Deutschland bauen.

So ist eine heterogene Gesellschaft nicht Belastung, sondern Chance!

Mit der heutigen wissenschaftlichen Tagung wird – so hoffe ich – ein Beitrag geleistet zum Bewusstsein von der Notwendigkeit einer Ordnung, in der niemand zu keinem Zeitpunkt und an keinem Ort gezwungen sein wird, seine Heimat aus ethnischen Gründen zu verlassen.

Dabei hilft es, innezuhalten und den Blick zurück zur Potsdamer Konferenz zu lenken, um die Gegenwart besser zu verstehen und so die Zukunft fruchtbar zu gestalten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich bin den Veranstaltern sehr dankbar für die Initiative, Organisation und Durchführung dieser Tagung.

Sehr gern weise ich darauf hin, dass das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat die heutige wissenschaftliche Konferenz als ei-ne verständigungspolitische Maßnahme fördert. Ganz besonders danke ich den Angehörigen der deutschen Minderheit für ihr Engagement vor Ort. Einige Vertreter nehmen ja heute teil.

Ich wünsche uns allen ertragreiche Diskussionen und Vorträge.

Vielen Dank!