Festrede anlässlich der Landesdelegiertenversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft
Rede 06.07.2019
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Ort
München
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Rednerin oder Redner
Prof. Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten
Es gilt das gesprochene Wort!
Haben Sie herzlichen Dank für die Möglichkeit, heute vor Ihnen, den Delegierten der Landesversammlung eine Festrede zu halten.
Ich darf Ihnen zunächst die herzlichen Grüße und guten Wünsche der Bundesregierung, insbesondere von unserer Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel, und von unserem Bundesinnenminister Herrn Horst Seehofer überbringen.
Wir alle haben den diesjährigen 70. Sudetendeutschen Tag vor wenigen Wochen in Regensburg in bester Erinnerung. Es sind alljährlich diese ertragreichen Pfingsttage mit dem Sudetendeutschen Tag, mit den Pfingsttreffen der Banater Schwaben in Ulm, der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl und der Russlanddeutschen in Bad Salzuflen, die uns Verantwortlichen auf dem Gebiet der Vertriebenen- und Aussiedlerpolitik, viele wichtige Impulse schenken.
Als Regierungsbeauftragter ist mir die Teilnahme – insbesondere auch heute, an der Landesdelegiertenversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft – ein besonderes Anliegen.
Seit gut einem Jahr bin ich als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten im Amt. Mir ist es wichtig, möglichst viele Gelegenheiten wahrzunehmen, um mit jenen, für deren Belange ich als Beauftragter der Bundesregierung in Verantwortung stehe, ins Gespräch zu kommen.
Treffen, wie heute, dienen der gegenseitigen Information. Unser Austausch hilft mir, am Puls der Themen zu bleiben, die Sie, Vertriebene, Aussiedler und Spätaussiedler, bewegen. Denn ihre Belange politisch zu begleiten und zu vertreten, ist ein zentraler Schwerpunkt meiner Arbeit und meines Auftrages.
Bereits 1988, also vor mehr 30 Jahren wurde das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten eingerichtet. Das spiegelt die besondere Bedeutung wider, welche die Vertriebenen- und Aussiedlerpolitik im Regierungshandeln einnimmt. Die Bundesregierung und insbesondere jeder meiner Vorgänger im Amt haben sich in dieser Verantwortung gesehen. Auch ich sehe mich als Anwalt und Ombudsmann der Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler, und der nationalen Minderheiten. Diesem Selbstanspruch versuche ich seit meinem Amtsantritt in jeder der vielen Facetten meines Amtes gerecht zu werden.
An erster Stelle nehme ich die politische Vertretung der Interessen der Heimatvertriebenen und Aussiedler wahr und werbe für ihre Belange im politischen Raum.
Mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben sich viele Forderungen der Heimatvertriebenen erfüllt. Ich denke dabei unter anderem an die Anerkennung ihres Kriegsfolgenschicksals, das zuletzt durch die Anerkennungsleistung für zivile Zwangsarbeit besondere Würdigung erfahren hat; aber auch an die Einführung eines nationalen Gedenktags für die Opfer von Flucht und Vertreibung am 20. Juni wie auch an die künftige Dauerausstellung der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung.
Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD wurden die Ziele und die Ausrichtung des Regierungshandelns in der Vertriebenenpolitik verankert.
Zwei Schwerpunkte sehe ich:
Zum einen ist es die Umsetzung der Konzeption der Stiftung Flucht, Vertreibung und Versöhnung. Wichtig dabei ist die zeitgerechte Umsetzung. Wir streben die Eröffnung des Dokumentationszentrums spätestens in dieser Legislaturperiode an. In jeder Phase der Umsetzung von der Ausstellung bis zum Bildungskonzept muss der Aspekt der Vertreibung der Deutschen in angemessener Weise zum Ausdruck kommen. Daran arbeitet der Stiftungsrat intensiv.
Ein zweiter Schwerpunkt ist die Pflege des Kulturgutes der Vertriebenen. Wie Sie alle wissen, haben wir mit § 96 Bundesvertriebenengesetz seit 1953 eine tragfähige Rechtsgrundlage zur Pflege des Kulturgutes der Vertriebenen und Flüchtlinge und zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Bund und Länder sind gesetzlich in der Pflicht, das Kulturgut der historischen deutschen Ostgebiete und der deutschen Siedlungsgebiete im östlichen Europa im Bewusstsein zu erhalten.
Zu dieser kulturpolitischen Aufgabe gehört die Förderung von Archiven, Museen und Bibliotheken, Wissenschaft und Forschung sowie von Projekten der kulturellen Vermittlung und auch die erwähnte Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Für diesen Bereich ist die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien zuständig.
Zugleich betrachte ich die Umsetzung der Maßnahmen zur Bewahrung des Erbes der Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler als eine identitäts- und heimatpolitische Aufgabe.
Im Rahmen des § 96 BVFG werden auch die verständigungspolitischen Maßnahmen durchgeführt. Die Verständigungspolitik des BMI zielt darauf ab, Brücken zwischen Deutschland und seinen mittel- und osteuropäischen Nachbarn zu schlagen. Wir wollen die verständigungspolitische Arbeit von Vereinigungen und Einrichtungen der Vertriebenen sowie ihren kooperierenden Trägern intensivieren. Es geht um den Abbau von Vorurteilen und um das freundschaftliche Nachbarschaftsverhältnis in unserem gemeinsamen europäischen Haus. In den vergangenen zwei Jahren beliefen sich die verständigungspolitischen Maßnahmen auf insgesamt ca. zwei Mio. Euro.
In diesem Zusammenhang möchte ich das herausragende Engagement der Sudetendeutschen betonen. Die Sudetendeutsche Landsmannschaft gehört zu den stabilen Brückenpfeilern zu unseren tschechischen Nachbarn und der dortigen deutschen Minderheit. Das schlägt sich in der finanziellen Unterstützung von unterschiedlichen Projekten nieder. Neben den Landesverbänden Bayern und NRW der Sudetendeutschen Landsmannschaft fördern wir auch etwa die Stiftung Sudetendeutsches Sozial- und Bildungswerk im Heiligenhof. Die Ackermann-Gemeinde und sowie die Seliger-Gemeinde sind ebenfalls Empfänger von Zuwendungen im verständigungspolitischen Bereich. Verständigung ist so eine der wichtigsten Säulen in der Vertriebenenpolitik.
Genau so wichtig ist jedoch eine nachhaltige Erinnerungskultur. Das Wachhalten der Erinnerung an Schicksal und Leid der deutschen Heimatvertriebenen ist die beste Garantie für Frieden. Mit rund 140.000 Euro jährlich unterstützt die Bundesregierung fünf Wanderausstellungen des Bundes der Vertriebenen. Die Wanderausstellungen werden von Begleitveranstaltungen flankiert. Diese wenden sich gerade an ein junges Publikum zur Sensibilisierung für die eigene Geschichte.
Lassen Sie mich nun, in einem zweiten Teil meiner Rede, den Blick in die mittel- und osteuropäischen Länder und auf die dort lebenden deutschen Minderheiten richten.
Zum Aufgabenportfolio des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten gehört die Betreuung der in den Herkunftsgebieten der Aussiedler verbliebenen Deutschen, die Koordination der Maßnahmen der Hilfenpolitik sowie der Co-Vorsitz der bestehenden Regierungskommissionen zu Angelegenheiten der deutschen Minderheiten.
Vor dem Hintergrund der Mitverantwortung Deutschlands für das in unmittelbarer Folge des Zweiten Weltkrieges erlittene Schicksal ist der Bundesregierung die Unterstützung der deutschen Minderheit in den mittel- und osteuropäischen Ländern, den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und dem Baltikum ein besonderes Anliegen. Hierzu legt der Koalitionsvertrag folgendes Bekenntnis ab: "Die deutschen Volksgruppen und Minderheiten sind Teil unserer kulturellen und historischen Identität, bereichern die kulturelle Vielfalt in ihren Ländern und stellen ein wichtiges Band der Verbindung zwischen Deutschland und seinen Partnerländern dar. Wir wollen sie weiter fördern und unterstützen."
Die Anzahl der Angehörigen der deutschen Minderheit in den genannten Ländern beträgt heute rund 1 Million.
Die Bundesregierung hat nach dem Fall der Mauer die Gelegenheit ergriffen und mit einer Vielzahl osteuropäischer Länder Freundschafts- und Partnerschaftsverträge geschlossen, die in den meisten Fällen Schutzklauseln für die deutsche Minderheit enthalten. Seither setzt sich die Bundesrepublik Deutschland für den Schutz der deutschen Minderheit in den MOE-Ländern, den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und dem Baltikum ein.
Seit 1990 hat Deutschland über 1,2 Milliarden Euro Unterstützungszahlungen für die deutsche Minderheit in diesen Ländern geleistet. Während zu Beginn der Förderung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch die Linderung der wirtschaftlichen Not und die Verbesserung der Lebens- und Zukunftsperspektiven im Vordergrund standen, zielt die Förderpolitik der Bundesregierung mittlerweile besonders auf identitätsstärkende Maßnahmen ab. Insbesondere die Bindung an die deutsche Sprache und die dauerhafte Sicherung ihrer ethno-kulturellen Identität sind von essentieller Bedeutung. Besonderes Augenmerk gilt auch der Jugendarbeit als Voraussetzung für das Fortbestehen der deutschen Minderheit als eigenständige Volksgruppe.
Die Verwendung der Fördermittel ist allerdings von Herkunftsland zu Herkunftsland unterschiedlich, diese Unterschiedlichkeit begründet sich aus der Diversität der Bedürfnisse. So wie sich die allgemeinen Lebensumstände etwa in der Tschechischen Republik von diesen in Usbekistan unterscheiden, so unterscheiden sich auch die Bedürfnisse der jeweiligen deutschen Minderheit.
So geht es beispielsweise bei dem Erhalt des Deutschen als Minderheitensprache nicht nur um die Sicherung des Status Quo. Die besondere Aufgabe besteht in der Stärkung, im Ausbau, ja in manchen Fällen sogar regelrecht in der Wiederbelebung der Sprachkenntnisse.
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die Förderschwerpunkte je nach den Bedingungen - wie etwa der Organisationsstruktur, der regionalen Verteilung und den Schwerpunkten des Engagements - sowie auch den politischen Gegebenheiten im jeweiligen Herkunftsland angepasst werden Für diese Förderung stehen dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat knapp 22 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung.
Alle Fördermaßnahmen erfolgen nur nach enger Absprache mit den Angehörigen der deutschen Minderheit vor Ort. Zudem ist Maßgabe, dass sie nach Grundsätzen echter Partnerschaft und unter völliger Transparenz gegenüber den Regierungen und Verwaltungen der Heimatstaaten der deutschen Minderheit durchgeführt werden. Das Format regelmäßiger Sitzungen bilateraler Regierungskommissionen, wie sie mit vielen Ländern bestehen, hat sich dabei besonders bewährt.
Grundsätzlich hat sich die Lage der deutschen Minderheit in den mittel-, ost- und südosteuropäischen Staaten nach der politischen Wende 1989/90 in Abhängigkeit von den politischen und wirtschaftlichen Veränderungen in den einzelnen Ländern positiv entwickelt. Gerade im 30. Jubiläumsjahr der samtenen Revolutionen von Balkan bis Baltikum und im 15. Jahr der Mitgliedschaft der mittel- und ost-europäischen Staaten in der EU ist dies eine besonders erfreuliche Feststellung.
Folgende Gründe sind hierfür ausschlaggebend:
Erstens, sind es die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen in den Heimatstaaten, die zum Teil der Europäischen Union beigetreten sind.
Zweitens sind es die bilateralen Verträge und Abkommen Deutschlands mit den jeweiligen Staaten, die in der Regel minderheitenfreundliche Klauseln enthalten und zur Grundlage bilateralen Handelns machen
Drittens, die Minderheitenpolitik des Europarates - nicht zuletzt das Rahmen-Übereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten und die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen.
Viertens, eine neue Aufgeschlossenheit der Heimatstaaten gegenüber ihren Minderheiten; diese findet zum Teil ihren Niederschlag in nationalen Schulgesetzen und dem Regelwerk des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten.
Und fünftens, die Förderung der deutschen Minderheit in den Heimatstaaten durch die Bundesregierung sowie die deutsche Politik zugunsten der Minderheiten.
Eins steht fest: die ethnischen Deutschen und ihre Medien fungieren als Brückenbauer und Vermittler zwischen den Ländern und Kulturen.
Die Grundlage dafür ist eine moderne und nachhaltige Minderheitenförderung, vor allem in den Bereichen Sprache, Jugend, ethno-kulturelle Arbeit sowie Partnerschaftsmaßnahmen und eine bessere Vernetzung der deutschen Minderheit im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft deutscher Minderheiten.
Sehr geehrte Damen und Herren,
aus diesem kurzen und hoffentlich informativen Überblick lassen sich die Ergebnisse unserer Minderheitenpolitik ableiten.
Die deutschen Minderheiten haben ganz unterschiedliche Lebensumstände und blicken auf ganz unterschiedliche Geschichte zurück. Gleich intensiv, jedoch den regionalen Gegebenheiten angepasst, bleibt das Engagement der Bundesregierung. Positiv ist auch mein persönlicher Eindruck aus den vielen Gesprächen vor Ort in den Herkunftsländern. Die deutschen Volksgruppen gehen als starke und selbstbewusste Minderheiten mit dem Lauf der Zeit und stellen sich den aktuellen Herausforderungen durch moderne Minderheitenarbeit und innovative Konzepte.
2019 jährt sich zum 80. Mal der Beginn des Zweiten Weltkrieges. Vor diesem Hintergrund muss gesagt werden: Die deutschen Minderheiten dürfen gerade in Krisenzeiten nie wieder instrumentalisiert werden und für zwischenstaatliche oder gar weltpolitische Entwicklungen mit ihrem Schicksal bezahlen.
Die Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler in Deutschland sind sie nach wie vor ein starkes Bindeglied zwischen Deutschland und unseren Partnerländern und Brückenbauer in der Mitte Europas. Diesen Prozess weiterhin zu fördern und positiv zu begleiten, sehe ich als meine wichtigste Aufgabe im Amt, auch in der Zukunft.
Vielen Dank!