Jubiläumsveranstaltung "20. Jubiläums der Moskauer Deutschen Zeitung"

Typ: Rede , Datum: 13.04.2018

Grußwort des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten Dr. Bernd Fabritius

  • Rednerin oder Redner

    Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten

Ich freue mich sehr, dass mich meine erste Auslandsreise als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten zu einer Vertreterin der Medienlandschaft führt, die wie keine andere für den Dialog zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Russland steht: zur Moskauer Deutschen Zeitung, die das 20. Jubiläum ihres Bestehens feiern darf! Ich danke herzlich für die Einladung.

Es ist ein würdiger Rahmen, das 20. Jubiläum der Moskauer Deutschen Zeitung mit der Eröffnung der Fotoausstellung  über "Die Republik der Wolgadeutschen" zu verbinden. Denn die Gründung der Republik der Wolgadeutschen jährt sich in diesem Jahr zum 100. Mal. Nachdem Katharina die Große 1763 deutsche Siedler nach Russland eingeladen hatte und immer mehr ihrer Einladung gefolgt sind, bildeten Deutsche Anfang des 20. Jahrhunderts über 200 Kolonien mit mehr als 400.000 Siedlern im Wolgagebiet.

Die Russlanddeutschen waren schnell für ihre Tüchtigkeit und ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bekannt. Zunehmender Druck vom damaligen russischen Staat und Anfeindungen seitens der Öffentlichkeit sowie insbesondere die bis zu Deportationen reichende Sondergesetzgebung während des Ersten Weltkrieges bedrückten die Deutschen im Zarenreich. So begrüßten viele Deutsche in Russland die Februarrevolution 1917 und nutzten beherzt die neuen Möglichkeiten zur politischen Organisation.

Auch die Oktoberrevolution trug zur Ausbildung neuer russlanddeutscher Strukturen bei, wenn auch in anderer Weise. Am 19. Oktober 1918 gründeten die Deutschen an der Wolga die autonome Arbeitskommune der Wolgadeutschen als Vorläuferin der 1924 gegründeten Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen innerhalb der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik.

Die Wolgarepublik zeichnete sich durch ein reiches sprachliches und kulturelles Leben aus, war aber nur sehr eingeschränkt eine wirkliche Autonomie, weil auch in den vermeintlich „autonomen“ Sowjetrepubliken getreu der Formel Stalins „national in der Form, sozialistisch im Inhalt“ der unbedingte und unbeschränkte Primat der streng zentralistischen Kommunistischen Partei in allen Bereichen bestand. Die politische Verfolgung der ökonomischen Mittelschicht hatte auch negative Folgen für die kulturelle Entwicklung.

Das Ende der Wolgarepublik hatte seine Ursache im schrecklichen Überfall durch Nazi-Deutschland auf die Sowjetunion im Jahr 1941. Die Wolgadeutschen mussten mit ihrem Schicksal und dem Verlust ihrer autonomen Republik für die Aggression des "Dritten Reiches" bezahlen, das viele von ihnen nie betreten oder gesehen hatten.

Die Auflösung der Wolgarepublik und vor allem die Deportationen haben den Deutschen in Russland einen Schaden zugefügt, dessen Folgen bis heute zu spüren sind. Es spricht auch viel für die These, dass sich die Aussiedlung der Deutschen in ihre historische Heimat Deutschland während und vor allem nach dem Kalten Krieg in einem deutlich geringeren Ausmaß vollzogen hätte, wenn die Pläne zur Wiederherstellung der Wolgarepublik verwirklicht worden wären. Ich möchte daher dazu ermutigen, den bisherigen konstruktiven Dialog fortzusetzen und alle Fragen, die sich aus der historischen Verantwortung beider Länder in Bezug auf die Russlanddeutschen ergeben, offen und in einem von gegenseitigen Respekt und Freundschaft getragenen Geist – auch durchaus kontrovers aber mit dem Ziel einer Verständigung - zu diskutieren. Hierbei sollen die Vertreter der deutschen Minderheit in Russland selbstverständlich als geborene  Partner einbezogen werden

Umso wichtiger ist es, die Erinnerung an dieses wichtige Kapitel in der Geschichte der Russlanddeutschen wachzuhalten und dabei auch den Beitrag zu würdigen, den die Russlanddeutschen in unserer gemeinsamen Geschichte geleistet haben. 

Die Moskauer Deutsche Zeitung (MDZ) hat eine fast ebenso reiche Geschichte und auch etwa das gleiche Schicksal wie die Russlanddeutschen selbst: Die MDZ wurde bereits 1870 gegründet, also etwa 100 Jahre nachdem die ersten deutschen Siedler nach Russland kamen. Sie diente bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges den Deutschen in Moskau als wichtige Informationsquelle. Leider wurde ihr Erscheinen 1914 kriegsbedingt eingestellt. Erst im April 1998 konnte sie Dank des großen Engagements der Eheleute Martens und des Internationalen Verbandes der Deutschen Kultur in Russland wieder erscheinen und erfreut sich seitdem bei Lesern sowohl in Deutschland als auch in Russland großer Beliebtheit. Seit dem Jahr 2000 erscheint die MDZ auch online. So gehen die Deutschen in Russland mit dem Puls der Zeit und bieten ein attraktives Angebot in einer zunehmend vernetzten und globalisierten Welt.

Die MDZ ragt in der Medienlandschaft unserer beiden Länder in vielerlei Hinsicht heraus. Sie ist die einzige Zeitung in der Russischen Föderation, die einen deutschsprachigen und einen russischsprachigen Teil hat und in beiden Sprachen eine Themenvielfalt aus Politik, Wirtschaft und Kultur bietet. Sie wird über die russlanddeutschen Begegnungsstätten bzw. -zentren in alle Ecken Russlands verbreitet und  ermöglicht so den Deutschen in Moskau genauso wie denen in einem kleinen Dorf bei Omsk, die Muttersprache ihrer Vorfahren zu pflegen und ihre ethnokulturelle Identität zu bewahren, ohne sich abzugrenzen.

Aber die MDZ leistet noch mehr: Sie bringt auch die Mentalität des jeweils anderen Landes einem großen Leserkreis aus Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft näher – und zwar ohne die gängigen Klischees und Vorurteile. Die Erweiterung der eigenen gewohnten Perspektive ist von besonderer Bedeutung gerade in heutigen Zeiten diplomatischer Abkühlungen. Die MDZ ist ‑ wie die Minderheit selbst  ‑ eine der Brücken, die wir brauchen.

Als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten in den Nachfolgenstaaten der Sowjetunion und in Mittel- und Osteuropa wünsche ich mir,

  • dass die Gesprächskanäle zwischen Deutschland und Russland - trotz politischer Auseinandersetzungen und heikler Krisen - niemals versiegen,
  • dass deutsche Minderheiten gerade in Krisenzeiten nie wieder instrumentalisiert werden und für zwischenstaatliche oder gar weltpolitische Entwicklungen mit ihrem Schicksal bezahlen müssen, sondern genau im Gegenteil:
  • dass die deutschen Minderheiten und ihre Medien als Brückenbauer und Vermittler zwischen unseren Ländern und Kulturen fungieren und als Chance verstanden werden,
  • und dass wir noch ganz viele Jubiläen der MDZ feiern können.

Die Grundlage dafür, dass meine Wünsche in Erfüllung gehen, sind starke, selbstbewusste und moderne deutsche Minderheiten. Denn die Deutschen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion sind geborene Botschafter zwischen zwei Kulturen, die nicht abberufen werden können. Ich werde mich vollem Engagement und Leidenschaft dafür einsetzen, dass die Minderheitenförderung auf der politischen Agenda ganz oben steht und stehen bleibt ‑ egal wie der Wind sonst weht ‑ und dass die deutschen Minderheiten die Herausforderungen der Zukunft mit Bravour meistern.

Das entscheidende Kernelement der Minderheitenförderung ist die deutsche Sprache. Sie verbindet und eint die ethnischen Deutschen trotz großer Entfernungen. Dank der deutschen Sprache können die deutschen Minderheiten beispielsweise gegenüber dem Bundespräsidenten oder dem Bundesaußenminister selbstbewusst Ihre Interessen vertreten und so die Minderheitenarbeit stärken.

Die deutsche Sprache ermöglicht den deutschen Minderheiten aber auch, als Brückenbauer zwischen Ihrem Heimatland und Deutschland zu wirken. Sprache ist mehr als nur ein Kommunikationsmittel. Die deutsche Sprache ist vielmehr das Tor zur deutschen Kultur, zu deutschen Traditionen, zur deutschen Identität. Sie ist das Tor zur genuinen Kultur! Dieses gilt für alle Sprachen, auch das Russische ist das Tor zur russischen Kultur ist.

Sprache ist DAS Schlüsselelement für die Bewahrung der Identität nationaler Minderheiten und Minderheitenschutz muss daher zwangsläufig auch den konsequenten Schutz der Minderheitensprache beinhalten.

In den vergangenen Jahren wurde bereits viel in die Sprachförderung investiert. Aber wir stehen vor weiteren Herausforderungen und ich möchte hier ausdrücklich die Initiative meines geschätzten Vorgängers im Amt, Hartmut Koschyk, aufnehmen und die Förderung des Deutschen als Minderheiten-Muttersprache weiter in den Fokus meiner Politik stellen. Ziel muss es sein, dass möglichst viele junge Deutsche bereits in Vorschule und Schule ein sehr gutes Angebot an muttersprachlichem Unterricht erhalten. Ich sehe hier Ansätze für eine weitere gute Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt, das mit dem vom damaligen Bundesaußenminister und heutigen Bundespräsidenten Dr. Frank-Walter Steinmeier initiierten und in der Umsetzung sehr erfolgreichen Konzept der PASCH-Schulen über sehr wertvolle Erfahrungen und Voraussetzungen verfügt, auf die wir aufbauen können.

Neben der Sprache ist die Jugendarbeit eine Herzensangelegenheit für mich. Die Zukunft der deutschen Minderheiten in ihren Heimatstaaten hängt von der Motivation der jungen Generation ab, das bisher Aufgebaute weiterzuführen und fortzuentwickeln. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist daher ein essentieller Bestandteil meiner Minderheitenpolitik. Ich habe die Mitarbeiter des Bundesministeriums des Innern gebeten, die bisherigen Konzepte auf ihre Zukunftsfähigkeit hin zu überprüfen und ggf. anzupassen, da viele Jugendliche sich von den bestehenden, oft über Jahre wiederholten Angeboten nicht mehr angesprochen fühlen. Die Jugendangebote müssen stärker an die unterschiedlichen Altersgruppen angepasst werden und den modernen Interessen von Kindern und Jugendlichen  entsprechen. Die neuen Medien müssen in die Kinder- und Jugendarbeit einbezogen werden. Es muss ferner das Konzept für die Ausbildung der Nachwuchsführungskräfte modernisiert werden, da das bisherige Konzept angesichts vielfältiger alternativer Freizeitbeschäftigungen nicht mehr ausreicht, um den Nachwuchs innerhalb der deutschen Minderheiten zu gewinnen und langfristig an die Selbstorganisationen zu binden. Diesem Trend muss auf der Grundlage eines überarbeiteten Konzepts, beispielsweise durch attraktive Freizeitangebote und Stipendien entgegengewirkt werden.

Ebenfalls von großer Bedeutung für die Minderheitenarbeit sind die Partnerschaftsmaßnahmen, die die Brücken zwischen den deutschen Minderheiten in ihrer angestammten Heimat und den Vertriebenen und Aussiedlern, die aus den jeweiligen Gebieten stammen, stärken. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass die Partnerschaftsmaßnahmen in allen Herkunftsländern der deutschen Minderheiten ausgebaut werden und dadurch neue Impulse für die Minderheitenentwicklung entstehen.

Ich werde mich während meiner Amtszeit ferner bemühen, die Strukturen für eine bessere Vernetzung der deutschen Minderheiten noch weiter zu stärken. Je besser die deutschen Minderheiten vernetzt sind und je mehr sie mit einer Stimme sprechen, desto stärker können sie ihre Interessen gegenüber den politischen Entscheidungsträgern, auch und gerade in Deutschland, vertreten, und desto nachhaltiger ist ihr Wirken als Brücke zu einer Verbesserung der bilateralen Beziehungen in allen Bereichen.

Wie Sie sehen, haben wir bereits vieles bei der Minderheitenförderung erreicht. Es liegen aber auch viele Herausforderungen vor uns, die wir gemeinsam und in einem vertrauensvollen Dialog mit allen Seiten, gerade auch mit unseren russischen Partnern von der Föderalen Agentur für Nationalitätenangelegenheiten angehen werden. Ich danke Ihnen allen für Ihr Engagement und die partnerschaftliche Zusammenarbeit und wünsche Ihnen einen tollen Jubiläumsabend!

Weitere Informationen

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